DER REIGEN
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Museumsquartier Halle E
12. November 2019

Komposition Bernhard Lang / Libretto Michael Sturminger (nach Arthur Schnitzlers Theaterstück)

Musikalische Leitung: Walter Kobéra

Inszenierung: Alexandra Liedtke
Bühne: Falko Herold & Florian Schaaf
Kostüme & Video: Falko Herold
Klangregie: Christina Bauer
Licht: Norbert Chmel

amadeus ensemble-wien

Koproduktion mit den Bregenzer Festspielen

Die Prostituierte, Die junge Frau - Barbara Pöltl
Das Hausmädchen, Das Schulmädchen -
Anita Giovanna Rosati
Der Ehemann, Der Privatier - Marco Di Sapia
Der Polizist, Der Autor - Alexander Kaimbacher
Der junge Mann, Die Schauspielerin - Thomas Lichtenecker



„Monotoner Schnitzler-Rap
(Dominik Troger)

Bernhard Langs Musiktheater nach Arthur Schnitzlers „Reigen“ ist jetzt auch in Wien angekommen. Die Neue Oper Wien spielt das Werk in der Halle E des Museumsquartiers. Der Premierenabend hätte aus Sicht des Rezensenten durchaus „aufregender“ sein können.

Der Skandal, den Schnitzlers Opus einst ausgelöst hat, ist aus heutiger Perspektive schwer nachvollziehbar. Die Prüderie des 19. Jahrhunderts (der schon Worte wie „Wollust“ die Schamesröte ins Gesicht getrieben haben), Schnitzlers scharfer gesellschaftskritischer und psychologischer Blick und seine jüdische Herkunft – das hat offensichtlich ein ziemlich ein explosives Gemisch ergeben, mit dem sich politisch sehr gut hat „zündeln“ lassen.

Aus heutiger Sicht ist der „Reigen“ aber schon einer Flaschenpost vergleichbar, die es aus vergangenen Zeiten an den Strand des 21. Jahrhunderts gespült hat. Das hat vor allem mit den im Stück abgebildeten sozialen Strukturen zu tun und mit der, den Vertretern dieser Strukturen gemeinen Sprache. Hinter den Figuren des Stücks verbergen sich literarisierte „Typen“, Erwartungshaltungen und Sprechmuster, die längst entschwunden sind. Und die Auftrennung der hierarchischen Strukturen durch die Egalität des Geschlechtsaktes hat nach westeuropäischen Maßstäben ihre revolutionäre Sprengkraft ebenfalls längst eingebüßt.

Der „Reigen“ im Sinne gesellschaftlich schrankenloser Promiskuität und das (vor gegenseitiger Ausbeutung und Lüge nicht gefeite) Spannungsverhältnis zwischen den Geschlechtern ist natürlich aktuell wie eh und je, aber ob das Stück trotzdem noch für unsere heutigen Verhältnisse sprechen kann? Die Bewunderung für die Sprache Schnitzlers (Bernhard Lang hat sie in der Werkeinführung am Premierenabend durchblicken lassen) und ihre starke Bedingtheit durch das gezeigte „Milieu“, das bis zu genauen Ortsangaben reicht (gilt für Ödön von Horvath nicht Ähnliches?), stehen im Gegensatz zur letztlich doch bezweckten Darstellung gesellschaftpolitischer „Aktualität“. Es lässt sich wahrscheinlich nicht das eine „retten“ und das andere erreichen. Das legt auch das Libretto nahe, das dieser Fassung von Bernhard Lang zugrunde liegt, die 2014 bei den Schwetzinger Festspielen uraufgeführt worden ist. (Die in Wien gezeigte Produktion ist eine Koprodukton mit den Bregenzer Festspielen aus dem Jahr 2019.)

1997 ist im heutigen Museumsquartier (das war noch vor dem Umbau) die Philippe Boesmans’sche Fassung des „Reigen“ erklungen. Im Vergleich zur Fassung von Bernhard Lang ist das Stück bedeutend länger. Boesmans und sein Librettist Luc Bondy haben das Gewicht ihrer Bearbeitung aber mehr in die Richtung „Literaturoper“ verschoben, sozusagen als Pendant zur „Literaturverfilmung“, womit man sich elegant an dem so gerne geforderten Diktum der „Aktualität“ vorbeigeschwindelt hat. (Bondy hat in seinem Libretto zum Beispiel den Querbezug zu Stendhal verstärkt, den Schnitzler in der Szene zwischen dem jungen Herrn und der jungen Frau anspricht. In Langs Fassung sind Schnitzlers Verweise auf Stendhal gestrichen.)

Das Libretto für Langs „Fassung“ hat Michael Sturminger gefertigt. Er ist einerseits nahe bei Schnitzler geblieben andererseits hat er den Figurenkatalog modernisiert – und dabei in Kauf genommen, dass die Figuren, die im Schnitzler’schen Kontext bestimmten Milieus und Sprachzuständen zugeordnet sind, sich nicht 1:1 ins Heute übertragen lassen. Es gibt bei Sturminger keinen Grafen mehr, das süße Mädchen wird zum Schulmädchen, der Dichter zum Autor, das Stubenmädchen zum Hausmädchen, die Dirne zur Prostituierten. Auch im Text wurde manches modernisiert, anderes belassen und dabei auch mancher Anachronismus übersehen. (Sehr interessant etwa gleich in der 1. Szene: Wer zahlt heute noch einem Hausmeister Sperrgeld? Die Passage wurde nicht gestrichen, aber der Preis wurde verändert: „ein Sechserl“ wurde zum „Zehner“ „inflationiert“, der „Strizzi“ in „Widerling“ und der „Fallott“ in „Ekel“ umbenannt. Bondy hat beide Bezeichnungen stehen lassen.).

Nun haben sich die Zeiten wirklich geändert, und es ist dem Komponisten und dem Librettisten nicht verborgen geblieben, dass das Stück einer gewissen „Transformation“ bedarf. Lang hat beispielsweise die Rolle der Schauspielerin mit einem Countertenor besetzt, um – wie in der bereits erwähnten Werkeinführung kurz angesprochen wurde – das Genderthema anzudeuten. (Boesmans/Bondy haben Anfang der 1990er-Jahre aus der Schauspielerin noch eine Sängerin, Stimmlage Sopran, gemacht.) Nicht nur auf diese Thematik bezogen wäre auf Basis der Grundstruktur von Schnitzlers Text eine umfassende Überarbeitung in zeitgemäßer Sprache eine spannende Option gewesen. Dann wäre auch die in dieser Produktion als Dragqueen inszenierte Schauspielerin nicht so deutlich zwischen den „Genderstühlen“ gesessen und man hätte den „Reigen“ ohne „Tricks“ in gesellschaftsadäquater Weise auf gleichgeschlechtliche Beziehungen ausweiten können. (Schnitzler spricht das Thema in der Szene zwischen Dichter und Schauspielerin zwar kurz an, bringt es aber nicht explizit auf die Bühne.)

Auch an der musikalischen Umsetzung lassen sich Tendenzen im Umgang mit dem Stoff ablesen: Boesmans musikalische Sprache ist weit vom „Loop“-Ansatz Langs entfernt, der in der Wiederholung sein Glück sucht, wo Boesmans oft mit sehr deutlich erkennbaren Zitaten quer durch die Musikgeschichte arbeitet. Boesmans Komposition ist zwar „zeitgenössisch“, folgt aber noch dem Konzept und der Gestik „klassischer“ Oper. Die Musik entspricht in diesem Sinne auch den Erwartungen, die man an eine „Literaturoper“ haben könnte. (Der Effekt seiner komponierten Orgasmen hat sich nach meiner Erinnerung bei mir allerdings rasch erschöpft.)

Lang arbeitet mit kleinen, sich wiederholenden partikularen Strukturen, die bezogen auf das Libretto einen knapperen, rap-ähnlichen Sprachduktus forcieren, der weniger auf Schnitzlers Sprachmelodie abzielt. Lang hat viel an Jazz- und Tanzmusik der letzten hundert Jahre durchforstet und sich als Material dienstbar gemacht. Die filmähnlich geschnittenen Wiederholungen bieten zwar die Chance, durch subtile Veränderungen psychologische Details zu demaskieren, können aber auch rasch die Zuhörer ermüden, weil sie monoton wirken. Die Textverständlichkeit hatte für Lang Vorrang bei einem stark rezitativischen Stimmgebrauch, die Wiederholungen helfen dabei, fragmentieren aber die Wahrnehmung des Gehörten. Die geschlechtliche Vereinigung hat Lang durch eine Klangfläche dargestellt, einem „spektralen weißen Rauschen“ ähnlich, das auch mal lauter oder leiser werden kann, und das wie eine filmische „Überblendung“ den Geschlechtsakt mit einem breiten Strich „übermalt“. Vielleicht ließe sich daran sogar eine Kritik an der gegenwärtigen Reizüberflutung festmachen, die in der Werbung und in den Medien oft sexuell unterlegt ist. Die Sänger werden elektronisch verstärkt, die Klangregie am Mischpult hat für Lang einen hohen künstlerischen Stellenwert.

Die Inszenierung von Anna Liedtke hat das Stück in die Gegenwart verlegt, wobei aber die starke Anlehnung an Schnitzlers Text diesen Versuch der Modernisierung unterläuft – ja geradezu kontrapunktiert. Es entstand bei mir der Eindruck einer starken Diskrepanz zwischen den „historisch“ verortbaren Dialogen Schnitzlers, dem halbherzig modernisierten Libretto und der gegenwartsnah situierten Bühnenhandlung. Durch Vidoeeinspielungen zu den intimen Begegnungen auf der Bühne – Schwarz-Weiß-Filme von sich körperlich ertüchtigenden Menschen – wurde sogar noch eine weitere, zeitlich unkonkrete, symbolisierende Ebene hinzugefügt. Diese Mixtur hat der Glaubwürdigkeit der Bühnenhandlung nicht wirklich weitergeholfen:

Insofern haben sich einige Fragen ergeben: Ist ein Quickie zwischen den Ehegatten auf der Waschmaschine bezogen auf den damit verbundenen Dialog glaubwürdig? Schnitzler lässt die Szene zwischen der jungen Frau und ihrem Ehegatten sinnvoller Weise im gemeinsamen Schlafgemach spielen, was auch aus psychologischer Sicht nachvollziehbar ist. Warum wohnt der junge, von einem Hausmädchen verwöhnte junge Mann in einem Gemeindebau? Warum gehen der junge Mann (bei Schnitzler der junge „Herr“) und die junge Frau in einem Stiegenhaus zur Sache? Bei Schnitzler findet das Treffen der beiden in einem mit „banaler Eleganz möbliertenSalon“ statt. Der von Schnitzler definierte Schauplatz sagt zugleich viel über den Charakter des jungen Herren aus. Gut, bei Sturminger wird der „Herr“ zum „Mann“, die Banalisierung der Schauplätze ist also inbegriffen?

Der zum Dichter gewandelte „Autor“ hat in dieser Inszenierung in einer Telefonzelle am Wiener Karlsplatz Telefonsex mit dem Schulmädchen – bei Schnitzler treffen sie sich im Zimmer des Dichters und der Dichter sperrt gleich einmal die Türe ab. Die Verführungsabsicht wird deutlich markiert. Die Telefonzelle ist dagegen ein ziemlich armseliger Schauplatz, der außerdem das psychologische Raffinement, mit dem der Dichter zu Werke geht, unterschlägt. Und wenn ganz deutlich von einer „blauen“ Bluse gesungen wird, dann fällts halt auf, wenn die getragene nur „weiß“ ist. Gut gelöst war die Bühne: nach dem Setzkastenprinzip gefertigt und mit einem Stockwerk versehen, so dass schnelle Szenenwechseln möglich waren. Schauplätze wurden durch Projektionen angedeutet. Die Personenführung war detailliert genug und ohne Peinlichkeiten.

Die Sängerinnen und Sänger mussten mehrere Rollen bewältigen – mit dem Nachteil, dass die Ausformung der Figuren nicht immer gleich gut gelang. Alexander Kaimbacher beeindruckte nicht nur durch Liegestütze, die er in der Szene mit der Schauspielerin auf die Bühne der Halle E trimmte, er gab dem Polizisten (bei Schnitzler Soldat) und dem Autor ein starkes Profil und ihm gelang auch die sprachliche Ausdifferenzierung der dargestellten Charaktere am besten. Schließlich müsste jede Figur durch das ihr eigene Idiom erkennbar gemacht werden. Thomas Lichtenecker bot vor allem in der Rolle der Schauspielerin eine starke Leistung, den etwas überspannten jungen Mann habe ich ihm nicht so wirklich abgenommen. Marco di Sapia gab treffsicher den „neurotischen“, bevormundenden Ehemann und den von der Regie als verklemmt überzeichneten Privatier (alias Grafen). Anita Giovanna Rosati war der „unschuldige Typ“, der als Haus- und Schulmädchen sich aber ein wenig zu ähnlich blieb, Barbara Pöltl überzeugte als junge Ehefrau und hätte als Prostituierte in der Sprache vielleicht ein wenig „härter“ sein können.

Der Dank des Publikums galt zuletzt nicht nur dem Komponisten und den Protagonisten, sondern natürlich auch dem amadeus ensemble-wien unter Walter Kobéra, seit Jahrzehnten unermüdliche Fürsprecher und Verwirklicher zeitgenössischen Musiktheaters. Weitere Aufführungen finden am 15., 16. und 18. November 2019 statt.