NEUE WIENER HOFOPER 1869
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Kapitelübersicht

Der Aufbau des Repertoires im neuen Haus
30.Mai 1869 bis Saisonende Mitte Juli

IV. "Sardanapal" am 16. Juni 1869

Das Ballett „Sardanapal“ sollte das Eis brechen und der erste große Publikumserfolg im neuen Haus werden. Diese Rechnung der Direktion ging – wenn auch zwei Wochen später als ursprünglich geplant – wirklich auf. Denn was Opern betraf, waren die Adaptionsschwierigkeiten bei der Zuhörerschaft offensichtlich doch größer, als erwartet. „Vorerst ist es zweifellos, daß der wahre Musikfreund, der hören und nicht nur sehen will, mit Vorliebe das alte Haus aufsuchen wird.“ Solche Sätze zeigen nicht nur, wie schwerfällig sich gerade das Wiener Publikum von altem verabschiedet und sich in neues fügt, sondern dass Oper auch einen entsprechenden Raum braucht, in dem sie wirken kann. Und dieser großen Raum der neuen Hofoper musste erst mühsam erobert werden.

Ursprünglich sollte für dieses Ballett, das angeblich das schaurige Schicksal des letzten Assyrerkönigs vertanzt, sogar mit Pferden in Szene gehen – bei Ausstattungskosten von um die 50.000 Gulden. Die Kosten blieben, aber die Pferde wurden letztlich doch wieder abgezogen, weil es auf den Proben immer wieder Probleme mit ihnen gegeben hatte. So war bei einer der letzten Proben sogar Primadonna Guglielma Salvioni vom Pferd gestürzt. (Die Pferde hatten Probleme mit dem glatten Bühnenboden.) Deshalb wurde der „Amazonenritt“ gestrichen. Angeblich wurde schließlich nur der Wagen des Sardanapal von Pferden gezogen. Bei der Generalprobe wäre es dann auch noch beinahe zu einem gröberen Unfall gekommen, als eine Tänzerin in eine versehentlich nicht geschlossene Versenkung stürzte. Sie kam angeblich einigermaßen glimpflich mit einer Fußverletzung davon.

Das Verhältnis zwischen Taglioni und Dingelstedt dürfte auch nicht ganz reibungslos gewesen sein. Dingelstedt wollte offenbar den Sardanapal schon Anfang Juni spielen, solange der Vizekönig von Ägypten noch anwesend wäre, Taglioni wehrte sich erfolgreich dagegen – oder zumindest über eine Ausrede oder ein wirkliches „Fußübel“, wodurch die Probenarbeit unterbrochen werden musste.

Mit Sardanapal traf der Ballettdirektor des kgl. Hoftheaters in Berlin, Paul Taglioni, jedenfalls ideal den Geschmack der Zeit, durchmischte einen exotischen, ziemlich anrüchigen Stoff mit wilden Massenszenen und ließ die Bühnentechnik alle Stück’ln spielen. Das neue Haus konnte sich hier endlich von der besten Seite zeigen. Besonders eindrucksvoll geriet von der bühnentechnischen Seite das Schlussbild, der Scheiterhaufen, den Sardanapal errichten lässt, um in Anbetracht der siegreichen Aufständischen sich und seinen Harem ins Jenseits zu befördern. Allerhand Hausgerät wurde hier zusammengetragen und per Maschinerie turmartig in die Höhe bugsiert, dazu kam jede Menge an Bühnennebel. (In Berlin, wo Sardanapal uraufgeführt worden war, hatten sich angeblich Balletteusen bei der Dampferzeugung verbrannt, weil auf glühende Eisenplatten Wasser gegossen worden war. Zur Dampferzeugung in Wien gibt es die Anmerkung. “Der Dampf, dies zur Beruhigung der erschreckten Damen, hat Nichts zu bedeuten: er ist kalt gestellt.“)

Nicht alle waren freilich mit der Handlung einverstanden und diese gingen mit dem Taglioni’schen „Textbuch“ ziemlich ins Gericht. In der Allgemeinen Volkszeitung wurde der Inhalte auf den griffigen Reim „Saufen ist das Allerbest‘ / schon seit tausend Jahren g’west.“ heruntergebrochen, womit man wohl die ausschweifenden Festszenen des Werkes karikieren wollte. Nach dem ersten Akt gab es kleinen Zwischenfall als die Gasbeleuchtung an der Bühnenrampe erlosch und von „assyrischen Laternenanzündern“ wieder in Gang gesetzt werden musste.

Über allem schwebte jedoch ein erotisch-anrüchiges Flair vermischt mit effektvollen Massenszenen, das sich um den eigentlichen Mittelpunkt, Frl. Salvioni drehte. Zumindest ihrer Darstellung (und ihren Reizen) konnte sich niemand entziehen: „Fräulein Salvioni sah herrlich aus. Im ersten Akte grün, im zweiten weiß, im dritten roth, im letzten in einer Art assyrischem nichtsdestowenioger aber reizendem Negligee – gab diese Tänzerin überall ein prächtiges Bild morgendländischer Schönheit.“ Und unterstützt wurde das alles durch eine prächtige Ausstattung: das Innere des Sonnentempels von Jachimowicz, der Thron- und Bankettsaal im Königspalast von Kautzky, die Gärten des Sardanapal und die Schlussdekoration von Brioschi.

Der erste Akt zeigte das Innere eines Tempels, in dem Sardanapal einem zornigem Baal opfert. Der zweite Akt führte in den Bankettsaal, der den Rahmen für eine Orgie abgibt – während im Hintergrund die ausgebeutete Assyrier schon die Messer für einen Aufstand wetzen. („Die Orgie am Schluss des zweiten Bildes gehört zu dem Lebendigsten und Schönsten, was überhaupt im Bereiche des Ballets zu sehen ist. Wie ein prächtiger Accord fallen viele Lichter von oben herab, in deren wechselndem Scheine sich die langen tanzenden Reihen bewegen, (...)“ Der dritte Akt führte das Publikum zu einem Baaltempel bei Ninive mit Fernsicht und Gondeln am Tigris. Sardanapal hat beschlossen statt dem Baalskult mit einem grotesken und betäubenden Bacchanal den Bacchuskult einzuführen. („Die ganze weinselige Cultusgemeinde führt einen tollen Cancan auf, indeß das fromme Volk hungert und betet.“ ) Im letzten Akt gibt sich Sardanapal, nach der Niederlage gegen die Aufständischen, dem schon geschilderten Flammentod hin. Aber die Handlung ist da ohnehin nur Staffage und auf den Effekt hin berechnet. Taglioni lotete mit „Sardanapal“ gewissermaßen die moralischen Grenzen seines Zeitalters aus. Und es überrascht vielleicht aus heutiger Sicht, dass beispielsweise dieses Bacchanal („Es überschreitet die Grenzen der Schönheit, und in manchen Momenten die des herkömmlichen Hoftheateranstandes.“) teilweise wirklich als Grenzüberschreitung empfunden wurde – und dass das Werk trotzdem (oder vielleicht gerade deshalb) so erfolgreich war.

Die Musik hat Taglioni von Berlin mitgebracht. Sie stammte vom preußischen Hoftheaterkomponisten Hert(e)l. Von den Sitzen hat sie – zumindest die Rezensenten – nicht gerissen. „Es klingt alles leicht und melodiös, ohne in die triviale Reitschulmusik der italienischen Ballet-Componisten zu hinüberzuspielen, namentlich ist das Blech in bescheidener Weise verwendet und die ganze Art der Orchestration nicht ohne künstlerischen Zug.“ Woanders findet sich die hübsche Formulierung: „(...) das Ganze ist aus verschiedenen Meistern.“ Jedenfalls hat Albert Franz Doppler, Ballettdirgent der Hofoper und auch Dirigent des „Sardanapal“, noch ein paar Einlagestücke beigesteuert.

Kaiser und Kaiserin besuchten übrigens die zweite Vorstellung von Sardanapal am 17.Juni und blieben bis zum Schluss. Taglioni wurde an diesem Abend nach jedem Bilde und auch bei offener Szene, so namentlich nach dem Bacchanale und dem Amazonentanz „wiederholt stürmisch gerufen“. Der Kaiser hat dann auch allen Mitwirkenden und der Direktion seine Zufriedenheit und Anerkennung ausdrücken lassen.

Auch Eduard Hanslick hat sich zum Sardanapal geäußert und er hat angemerkt, „(...), daß man ein prachtvolleres Schauspiel kaum in irgend einem Theater Europas finden wird. 'Sardanapal‘ im neuen Opernhause überragt an blendender Ausstattung, an malerischer Wirkung, an Exactheit der Tänze und Massen-Evolutionen Alles, was ich an Balleten in der Pariser Großen Oper, im Coventgarden-Theater zu London und dem im Balletfach ihnen zunächst stehenden Berliner Opernhaus zu sehen Gelegenheit hatte. Dieser Schärpentanz bei vielfärbig einfallendem Lichte, dieses stürmische Amazonen-Ballet, diese malerische Schlußgruppe auf Sardanapal’s Scheiterhaufen – sie bilden fast ein Non plus ultra choreographischer Augenweide.“

© Dominik Troger 2002

Fortsetzung folgt