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„Manon“
Wiener Staatsoper 1983

„Manon“ und Anna Netrebko müssen noch ein paar Tage warten – vorher gibt es einen Rückblick ins Jahr 1983: „Manon“ im Ponnelle-Dekor. Edita Gruberova und Francisco Araiza sorgten für eine gesangliche Sternstunde. Wiener Opernfans im Glück.

Dass bei Manon das Opern- und Operettenhafte eine interessante Symbiose eingehen, haben schon die Zeitgenossen anlässlich der Wiener Erstaufführung 1890 diagnostiziert. Bei diesem Mitschnitt, einer Aufführung der Wiener Staatsoper aus dem Dezember 1983, ist das deutlich zu spüren: Manon belebt eine operettenhafte Koketterie während Des Grieux eine tragische, opernhafte Schwermut quält. Dazu kommt eine geschmack- und prunkvolle Szene, die den Hauch des Luxus bis zum Manon’schen Schmuck mit der Leidenschaft eines Opernausstatters vom alten Schlage vereint.

Edita Gruberovas Manon hat das leichtfertige Naturell von Adele und Zerbinetta, es durchmischt ihre Weltsicht. Manon ist von der Liebe und vom Reichtum beschwipst, aber sie hebt nicht ab wie eine Luftblase im Champagnerglas. Die Bodenhaftung (quasi „die Unschuld vom Lande“) geht bis zum Schluss nicht verloren und gerade deshalb ist ihr die Liebe zu Des Grieux ein so ernsthaftes Anliegen. Des Grieux gibt ihr Vertrauen, ein Gefühl von Heimat im wechselnden Gewühl Pariser Großstadtlebens. Dazu kommt eine erotische Komponente, die sich in St. Sulpice deutlich als Begehren äußert – die Szene, in der Des Grieux' Abhängigkeit und Manons Sehnsüchte kulminieren. Gruberova gestaltet ihre Manon mit gesanglicher Raffinesse, Spitzentönen und koketten Piani, dass es nur so eine Freude ist.

Der Des Grieux des Francisco Araiza hingegen lebt diese Beziehung mit voller Glut und jener Ausschließlichkeit, die ihm den Blick auf die wahren Sachverhalte verstellt. Sein Gesang ist voll Feuer und doch lyrisch zugleich. Man fühlt sein Herz pochen, wenn man ihm zuhört: es schlägt nur für Manon, für Manon, für Manon... Araiza war ein großer Publikumsliebling in jenen Jahren, er wurde heftig umschwärmt. An den hellen Bravorufen hört man, wieviele junge Fans damals in der Oper waren...

Das Ensemble ist um diese zwei Säulen mit dem nicht immer zündenden Sachverstand des Repertoiresystems gebaut, aber die Mauern stehen und halten den Ansprüchen im wesentlichen stand. Das Orchester unter Adam Fischer spielt mit Leidenschaft und Gespür für Feinheiten.

Jean-Pierre Ponnelles Zuckerguss wirkt heute wie eine Leckerei hinter dem Vitrinenglas einer Nobelkonditorei, die man sich moralischer Skrupel wegen nicht mehr gönnen will. Doch es könnte nicht schaden, die optische Magersucht moderner Bühnenräume mit ein paar Häppchen Ponnelle wieder aufzufüttern. Ponnelle hat in diesen Rahmen ein gut durchdachtes, psychologisch fundiertes Geschehen gestellt, dass einem ohne Übertreibungen den Sachverhalt der Geschichte deutlich klar macht. Erschienen ist die DVD, die auf einem Mitschnitt des ORF beruht, im Herbst 2006 bei der Deutschen Grammophon. Die Produktion stammte eigentlich aus dem Jahr 1971, sie war 1983 wieder in den Staatsopern-Spielplan aufgenommen worden.

operinwien.at © Dominik Troger 2007


Coverfoto: Deutsche Grammophon