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„Fidelio“
Wiener Staatsoper 1978

Runde Jubiläen laden zum Verweilen ein: Vor genau 30 Jahren dirigierte Leonard Bernstein den „Fidelio“ in Wien. Eine kleine historische Presseschau als DVD-Rezension.

Die Staatsopern-Premiere im Jänner 1978 beruhte auf einer aufgefrischten Inszenierung, die bereits 1970 im Theater an der Wien ihre „Bühnernweihe“ erlebt hat. Die Regie stammte von Otto Schenk, die Bühne von Günther Schneider-Siemssen. Die Premiere wurde zeitversetzt im Österreichischen Rundfunk übertragen. Dank einer DVD der Deutschen Grammophon, die im Jahr 2006 erschienen ist, kann man sich auch heute noch ein Bild von dieser Aufführung machen – oder zumindest von der TV-Übertragung.

Karl Löbl, damals Musikkritiker bei der Tageszeitung „Kurier“, hat sowohl die Aufführung im Haus als auch die Aufführung vor dem Fernsehschirm rezensiert. Er kam zum Schluss, dass die Fernsehübertragung auch als Stummfilm faszinierend gewesen wäre, weil es Otto Schenk gelungen sei, „die Aussagekraft einer Bühneninszenierung der Bildschirm-Dimension anzupassen“. Für Löbl, der solchen medialen Opernevents reserviert gegenüberstand, war es eine interessante Erfahrung, dass sich „optische Glaubwürdigkeit und Gesang“ nicht ausschließen (ein Spannungsfeld, dass uns heute noch viel mehr beschäftigt als vor 30 Jahren).[1] – Die Optik dieser DVD hat also die Absolution: die Nahaufnahmen, dieses Herauslösen des Einzelschicksals aus der Absolutheit des Theaterraums. Es war eine „medienkonvergente“ Pionierarbeit, die damals geleistet wurde.

Die SängerInnen entzückten nur zum Teil. Sie müssen unter dem Fluch solcher Ton- und Bildkonserven leiden – und wir mit ihnen. Gundula Janowitz wird schon in den Premierekritiken wegen der Inkonsistenz ihrer dramatischen Höhen zwiespältig bewertet: „Gundula Janowitz hatte äußerte Schwierigkeiten über eine Indisposition hinwegzukommen“, so urteilte Franz Endler in der Presse, und sprach das ziemlich deutlich aus, was viele dachten und freundlicher formulierten.[3] Der Florestan von René Kollo wurde als positive Überraschung gesehen: „Er beschert das Ereignis des Abends“ [4], Hans Sotin als Pizarro wurde weniger gut beurteilt. Gewähren ließ man die übrige Besetzung mit Abstufungen. Und könnte es nicht sogar sein, dass uns heute die Marcelline der Lucia Popp mehr anspricht, als die „Augen- und Ohrenzeugen“ vor 30 Jahren? Denn diese lebendige Natürlichkeit der ersten Szenen wird heutzutage nur mehr selten erreicht. Wobei man hierzulande natürlich den Vergleich hat, weil die Inszenierung immer noch am Spielplan steht.

Leonard Bernstein war der Motor dieser Aufführung, auch wenn gemutmaßt wurde, dass sich Bernstein hier, 1978, nicht selbst übertroffen habe – und man sich an seinen Wiener Fidelio von 1970 mit Wehmut erinnerte („Wunder wiederholen sich nicht!“) [5] – den vielleicht besten, den er je dirigiert hat. [6] Über manche Details hat man sich aber auch gewundert – und am auffälligsten ist wohl der nahtlose Übergang von der Kerkerszene in die Leonorenouvertüre. Franz Endler, Musikkritiker der Presse, hat sogar geschrieben, dass dieser Übergang für ihn „ganz und gar unverständlich“ sei. [7] Auffallend ist der schlank-klassische Orchesterklang, der sich in federnder Rhythmik gerade in besagter Leonorenouvertüre förmlich aufpeitschte. Das Publikum reagierte enthusiastisch und überschüttete den Dirigenten und das Orchester mit Ovationen. Löbl spricht in seiner Aufführungskritik denn auch vom „Musikdrama“ und dem deutlichen Willen des Dirigenten „mit diesem Stück, mit Beethovens Musik, ein Bekenntnis abzulegen.“ [8]

Und die Inszenierung? Man stimmte ihr nicht jubelnd, aber doch deutlich zu. Nachdem es sich nur um eine „Auffrischung“ gehandelt hat, stand sie nicht derart im Zentrum der Überlegungen. „Anderswo fühlen sich Regisseure bemüßigt, die Aktualität des ‘Fidelio‘ durch szenische Anspielungen zu betonen.“ [9] schrieb Karl Löbl damals – und dieser Satz hat, auf diese Produktion bezogen, wohl nichts von seiner Gültigkeit eingebüßt.


[1] Kurier, 31.1.1978
[2] Ebd.
[3] Die Presse, 26.1.1978
[4] Karlheinz Roschitz in der Kronen Zeitung, 26.1.1978
[5] Ebd.
[6] Siehe [5] sowie eine Anmerkung im CD-Booklet: „Zuschauer seiner früheren Wiener Aufführung der Oper (1970) berichten, dass Bernstein den Schluss wie in Trance dirigierte.“
[7] Die Presse, 26.1.1978
[8] Kurier, 26.1.1978
[9] Kurier, 26.1.1978

(Originalzitate kursiv gesetzt)

operinwien.at © Dominik Troger 2008


Coverfoto: Deutsche Grammophon