CD/DVD-BESPRECHUNGEN
Aktuelle Spielpläne
Opernführer
Chronik
Home

„Fidelio“
Wiener Staatsoper 1962

Wer bei dieser Aufnahme die durchgestylten Klangarchitekturen von Karajans Spätzeit erwartet, wird enttäuscht sein. Denn hier kann man den Maestro im Opernalltag kennenlernen – und wie er versucht, einer eher besetzungskritischen Aufführung zum Erfolg zu verhelfen.

Herbert von Karajan feiert heuer seinen 100. Geburtstag – ein Fest für seine Fans und die Tonträgerindustrie. Bei der Deutschen Grammophon kommt im April 2008 der Live-Mitschnitt einer „Fidelio“-Aufführung vom 25. Mai 1962 an der Wiener Staatsoper auf den Markt. Als Teil der Serie „Wiener Staatsoper Live“ macht diese Aufnahme vor allem eines deutlich: Eine durchgehend gelungene Opernaufführung hängt von vielen Details ab, das war vor 46 Jahren nicht anders als heute.

Doch zuerst muss man wohl ein wenig seine eigenen Hörgewohnheiten „entfokussieren“. Denn Karajans „Cinemascope“-Sound zeigt sich hier erst im Werden, jene breitegefächerte, unglaublich elastische Klangwelt, die vom feinsten Streicherraunen bis zum vollen Orchesterausbruch in einem reibungslosen, ausbalancierten Verhältnis aller Teile schwang. Hier spürt man die Nähe der Bühne, es wird deutlich, wie Karajan um Konturen und Dramatik besorgt ist, wie ein stetes Bemühen vorwaltet, das Geschehen weiter zu treiben - ein Bemühen, das sich letztlich aber selbst um sein Ziel bringt, weil es den Bogen überspannt und sich die Läuterung durch den Stoff versagt.

Das Hineinhören in Furtwänglers Wiener Einspielung von 1953 bestätigt diesen Eindruck: Da wirkt vieles flüssiger, eloquenter, von tieferem Selbstverständnis und überzeugenderem Enthusiasmus getragen. So stellt sich bald der Eindruck ein, als wollte der Maestro an diesem Abend den Erfolg erzwingen. Doch er wird um die Schwächen seiner Premierenbesetzung nur zu gut Bescheid gewusst haben: Jon Vickers navigiert seinen Florestan am Rande einer Indisposition dahin – und verleiht ihm zudem eine Kerkerschwere, die zwar authentisch klingt, aber schmerzlichst einen feinfühligeren Stimmgebrauch vermissen lässt.

Es überrascht auch, dass bei Gundula Janowitz bereits 1962 dieses zu leichtem „Scheppern“ neigende Vibrato durchschlägt. Die Natürlichkeit, mit der sie Marzelline als junges verliebtes Mädchen charakterisiert, wiegt aber vieles wieder auf. Sicher war an diesem Premierenabend auch eine große Portion Nervosität im Spiel.

Christa Ludwig, ein Mezzo auf „Höhenflügen“, treibt als Leonore den Abend zu einer emotional sehr dichten Kerkerszene im zweiten Akt und zeigt schon in ihrer großen Arie, was SängerInnen mit guter Technik alles vermögen. Mitreißend vermittelt sie die Ausgesetztheit dieser Figur, ihre Gefährdung und ihr Ringen um die erlösende, gattenbefreiende Tat – und es ist vor allem diese Gratwanderung, von der die Aufnahme lebt und die ihr jenes Maß an „überzeitlicher Gültigkeit“ verleiht, auf das es im Kern ankommt.

Walter Berry steuert einen bösen und präsenten Don Pizarro bei; über Walter Kreppels Rocco wird man nicht klagen, aber die „Goldarie“ hat ihm Karajan gestrichen. Der Staatsopernchor klingt heutzutage souveräner als damals.

Das Fazit ist durchaus lehrreicher Natur: die oft verklärte Vergangenheit hält nicht immer, was sie verspricht ...

Übrigens: unter www.karajan-oper-publikum.at.tp gibt es „Merker“-Kritiken aus jenen Jahren zum Nachlesen, u.a. auch von dieser Fidelio-Aufführung – eine reizvolle Ergänzung zu dieser Neuerscheinung.

operinwien.at © Dominik Troger 2008

(Coverfoto: Deutsche Grammophon)