DAS PARADIES UND DIE PERI

Aktuelle Spielpläne
Forum
Opernführer
Chronik
Home
Schumann-Portal

Theater an der Wien
15.11. 2024
Konzertante Aufführung

Dirigent: Giedré Šlekyté


Sopran I / Die Peri - Elsa Dreisig
Sopran II / Die Jungsfrau - Sarah Defrise
Mezzosopran / Der Engel  - Sophie Rennert
Tenor I / Erzähler - Werner Güra
Tenor II / Ein Jüngling - Cameron Becker
Bariton / Der Mann - Daniel Schmutzhard
Bass / Gazna - Levente Páll

Auf, auf ins Paradies!
(Dominik Troger)

„Joy, joy for ever – my task is done / The Gates are past and Heaven is won!“ Ja, wenn das immer so einfach wäre – aber so einfach ist das auch gar nicht. Erst beim dritten Versuch öffnen sich für die Peri die Tore des Paradieses. Robert Schumanns Oratorium „Das Paradies und die Peri“ wurde konzertant im Theater an der Wien gegeben.

Die Direktion des Theaters an der Wien ist auch noch nicht ganz im „Paradies“ des renovierten Hauses angekommen. Die drei geplanten szenischen Produktionen für den Herbst mussten abgesagt werden: Mozarts „Idomeneo“, Schumanns „Das Paradies und die Peri“ sowie eine Kinderopernproduktion vor Weihnachten. Man hat improvisiert, hat den beiden Erstgenannten je eine konzertante Aufführung ermöglicht, und bei der „Familienoper“ wird jetzt ein anderes Stück im Dezember halbszenisch gegeben.
Zumindest bei Robert Schumanns Oratorium werden viele Opernbesucher über die Absage der szenischen Produktion vielleicht gar nicht unglücklich gewesen sein. Immerhin war angekündigt worden, Regisseur Christof Loy würde das Oratorium zum Ausgangspunkt nehmen, um „ein Kammerspiel über die Künstlerehe von Robert und Clara Schumann
* (!!)  zu inszenieren – aber vielleicht wird die Produktion in einer der nächsten Saisonen noch nachgereicht.

Mit den beiden eingangs zitierten englischen Verszeilen schließt die Ballade „Paradise and Peri“ des irischen Dichters Thomas Moore. Sie stammt aus dem 1817 erschienen Band „Lalla Rookh“, den fünf Jahre später Friedrich de la Motte Fouqué ins Deutsche übersetzt hat. Für Schumann war dieses Poem Ausgangspunkt für sein Ende 1843 uraufgeführtes Oratorium. „Peris“ waren damals als Motiv sehr beliebt: Diese mythologischen Geschöpfe aus orientalischen Märchen, eine Art von geflügelten Feen, haben zu allerhand Opern und Ballettkreationen inspiriert.

„Das Paradies und die Peri“ wurde allerdings für den Konzertsaal geschrieben und versagt sich schon von vornherein bühnendramatischen Ansprüchen. Mit der durchkomponierten Form hat Schumann formal neues geleistet, die Gattung des Oratoriums modernisiert und mit orientalisch unterlegtem Kolorit „exotisiert“. Inhaltlich wirkt das Werk mit seiner religiös aufgeladenen Erlösungssehnsucht einigermaßen antiquiert, aber man kann „Das Paradies und die Peri“  auch als orientalisches Märchen auffassen, das in einer musikalischen Apotheose endet, in dem der gedankliche Anspruch von Beethovens Neunter Symphonie im Hintergrund mitzuschwingen scheint: durch Schumann im Geschöpf der Peri aber zu individueller menschlicher „Rührung“ destilliert.

Dem Werk begegnet man nicht all zu oft, auch wenn es in Wien meines Wissens zuletzt 2008 unter Nikolaus Harnoncourt und vier Jahre später unter Simon Rattle im Musikverein gegeben wurde. Im Theater an der Wien bekam man auch weniger den an der Oratorienliteratur akribisch geschulten Blickwinkel eines Nikolaus Harnoncourt serviert, sondern es wurde unter der fokussierten Stabführung von Giedrė Šlekytė mehr eine unspektakuläre, pragmatisch-romantische Lesart geboten, mit leichten Längen vor der Pause und einem schön herausgehobenen Finale im dritten Teil, durch das sich die Aufführung des Stücks dann gleichsam legitimiert hat.

Das Ensemble war in den wesentlichen Partien gut ausgesucht, im Zentrum stand natürlich die Peri von Elsa Dreisig, die nach ihrem Debüt an der Staatsoper als Micaela im September, sich jetzt dem Publikum des  Theaters an der Wien präsentierte. Elsa Dreisigs lyrischer Sopran hat hier seine Vorzüge viel überzeugender ausgespielt als an der Staatsoper und seine Leuchtkraft war für den Enthusiasmus des Finales gerade richtig. Einen souveränen Eindruck hinterließ Werner Güra als Erzähler, der mit seinem „Evangelistentenor“ das Banner des „klassischen Oratoriums“ hochhielt. Sophie Rennert gab einen schönstimmigen Engel, Daniel Schmutzhard sang mit  angenehmen Bariton, Cameron Beckers Jüngling zeigte tenorale Kante, Levente Páll gab einen bassbösen Tyrannen und Sarah Defrise rundete das Ensemble ab. Das ORF Radio-Symphonieorchester ist bei dieser Art von Repertoire nicht die erste Wahl, war an diesem Abend aber eine sehr gute Wahl, und der Arnold Schönberg Chor durfte sich ohne szenische Aufgabenstellungen ganz aufs Singen konzentrieren, was er auch zur allgemeinen Freude tat.

Natürlich entdeckte ich auch beim zweiten Besuch des renovierten Hauses „neue“ Neuheiten und nachzutragende Neuheiten: der rote Bodenbelag des Parterres ist einem hellen Parkettboden gewichen; die Lautsprecher, die jetzt das Bühnenportal rechts, links und oben flankieren, wecken akustische Befürchtungen; der Boden des Stehplatzes wurde „angebohrt“ und enthält jetzt runde Lüftungsöffnungen, deren Plastikabdeckung dazu neigen kann, „knarzende“ Geräusche abzusondern, wenn man mal das Standbein wechselt.

Die Aufstellung der Mitwirkenden war wie beim konzertanten „Idomeneo“ für das Haus untypisch: die Solisten über dem gedeckelten Orchestergraben postiert und somit ins Auditorium quasi „vorgeschoben“, das Orchester fächerte sich auf der flachstufig leicht ansteigenden Bühne auf, dahinter war der Chor positioniert. Schon beim „Idomeneo“ hatte ich den Eindruck, dass mit steigender Lautstärke der Klang metallisch eingefärbt wird, wodurch ein „überscharfer“ Raumklang entsteht. (Das Theater an der Wien hatte ohnehin schon eine trockene, hellhörige Akustik.)

Allerdings befand ich mich auch bei der „Pieri“ seitlich „über“ den Gesangssolisten und der Eindruck kann in der Mitte oder im Parterre ein anderer sein. Dass man dort auf der Seite am III. Rang die Chordamen aus dem Lautsprecher gehört hat, war weniger ideal (auch für den II. Rang wurde mir von seitlich links sitzenden Besuchern dieses „Phänomen“ bestätigt). Laut einem Artikel in der Tageszeitung Standard (online 9.10.24) ist das neue Soundsystem des Theaters an der Wien „(...) nicht zur Verstärkung von Gesang und Orchester gedacht (…), sondern für die Erzeugung von Nachhall – und das auch nur im Fall von ausgewählten, schwierigen Produktionen.“ **  Womöglich ist man hausintern noch mit Feinabstimmungen befasst, und es wird sich zeigen, wie sich dieses heikle Thema dann im „Echtbetrieb“ anlässt.

Die Aufführung wurde vom Publikum mit starkem mehrminütigem Applaus bedacht.

* Zitat aus Stagione 1, Das Magazin des MusikTheaters an der Wien. Ausgabe November/Dezember 2024, S. 14
** https://www.derstandard.at/story/3000000240084/theater-an-der-wien-nach-der-sanierung-zwischen-himmel-und-hoelle [17.11.2024]